Dr. Hermann Starnecker
Interview AZ Alexander Vucko —
1. Die Fusion zwischen der VR Bank Kaufbeuren-Ostallgäu und der Augusta-Bank in Augsburg war gerade erst vollzogen, als die Corona-Krise einschlug. Ihre Bilanz als Vorstandssprecher der VR Bank ein Jahr später?
So kurz nach der Zusammenführung beider Häuser kam die Pandemie für uns natürlich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Neben der rein technischen Integration der IT-Umgebung gibt es eine Vielzahl an Themen, die man angehen und vereinheitlichen muss. Aufgrund der exzellenten Vorarbeit durch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir das sehr gut hinbekommen. Zum Glück, denn ab März 2020 mussten wir uns ja voll und ganz auf die Herausforderungen der Corona-Krise einstellen. Zum Beispiel die ganzen Veränderungen in unserer Kommunikation. Unsere Mitarbeitenden haben viel Kundenkontakt, nicht zu vergessen die Abstimmung zu ihren Kolleginnen und Kollegen. Das musste alles neu geregelt werden. In solch einer Situation wird einem dann auch klar, was es bedeutet, systemrelevant zu sein. Als regionale Bank wollen wir für unsere Kunden da sein, die Bargeldversorgung gewährleisten und unsere Firmenkunden unterstützen. Dem haben wir alles untergeordnet.
2. Jeden Tag Krisenmanagement. Was macht das mit Ihren Mitarbeitern und Ihnen persönlich?
Für ein gutes Krisenmanagement halte ich zwei Faktoren für maßgeblich: Systematisches Vorgehen und gute Kommunikation. Deshalb haben wir sehr frühzeitig einen Krisenstab zusammengestellt. Hier sind Kollegen aus verschiedenen Bereichen der Bank eingebunden, sie bewerten regelmäßig die Lage und beschließen notwendige Maßnahmen. Das schafft Sicherheit und Vertrauen im Haus. Ich bin sehr dankbar, dass alle Mitarbeiter die Entscheidungen so gut mittragen. Wir ziehen hier alle an einem Strang. Was die interne Kommunikation betrifft, so setzen wir auf etablierte Kanäle wie unser Intra- und Extranet. Besprechungen wurden durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzt. Doch kein digitales Medium kann denselben Grad an Aufmerksamkeit und Wertschätzung leisten wie das persönliche Gespräch, vor allem wenn es um die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter geht. Immerhin mussten viele ihren privaten Alltag völlig neu strukturieren. Job, Kinderbetreuung, Homeschooling, diese Mehrfachbelastung unter einen Hut zu bekommen ist alles andere als einfach. Hier sind unsere Führungskräfte gefragt, ein offenes Ohr zu haben, Verständnis zu zeigen und flexible Lösungen zu finden. Was mich betrifft, so fehlt mir, trotz aller digitalen Möglichkeiten, der persönliche Kontakt zu unseren Kunden und Mitarbeitern. Es ist schon ein betrübliches Bild, wenn ich an leeren Aufenthalts- und Besprechungsräumen vorbeigehe. Auch meine regelmäßigen Runden durch die Abteilungen sind derzeit ausgesetzt. Ich freue mich, wenn das alles wieder uneingeschränkt möglich ist.
3. Corona hat der Digitalisierung einen Schub verliehen. Immer mehr Kunden erledigen Bankgeschäfte über das Internet. Wird sich das Filialnetz der Genossenschaftsbanken weiter ausdünnen?
Corona ist an vielen Stellen sicherlich ein Treiber der Digitalisierung. Bei uns betrifft das die internen Abläufe gleichermaßen wie die Kommunikation mit den Kunden. Doch auch ohne Corona setzen wir aufgrund des veränderten Kundenverhaltens schon seit längerem auf eine Mehrkanal-Strategie, die die digitalen Möglichkeiten ebenso mit einbezieht wie eine persönliche Beratung in der Geschäftsstelle. Die Kundenwünsche werden immer differenzierter und anspruchsvoller und die gilt es bestmöglich zu erfüllen. Am Morgen die Überweisung mit dem Smartphone, anschließend ein kurzer Video-Chat bezüglich einer Wertpapieranlage und morgen die Baufinanzierungsberatung in der Filiale, dieser „hybride“ Ansatz wird die Zukunft in der Bankberatung sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Geschäftsstelle für reine Servicegeschäfte rund um die Uhr geöffnet sein muss. Auch eine Bank denkt und handelt nach betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten. Für die nächsten Jahre rechne ich mit einem leichten Rückgang der Filialdichte in unserer Bankengruppe.
4. Die Berater der Genossenschaftsbanken führen derzeit viele Krisengespräche mit Privatkunden und Unternehmern, denen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zusetzt. Was steht dabei im Vordergrund?
Gerade während des ersten Lockdowns herrschte in unserem Kundenkreis eine große Verunsicherung. Das normale Geschäft musste warten. Da war es zunächst wichtig, den Kunden das Signal zu geben, dass wir ihnen zur Seite stehen, um gemeinsame Lösungen zu finden. Für die Unternehmen stand und steht dabei im Vordergrund, Liquidität im Betrieb zu halten. Bei Privatkunden geht es häufig um die individuelle Anlagestrategie ihres Depots. Ich glaube, das waren sehr wichtige Gespräche, die insbesondere das Vertrauen zwischen Kunde und Bank gestärkt haben.
5. Wie hoch ist bei den schwäbischen Genossenschaftsbanken aktuell die Summe der Kredite, die gestundet werden oder nicht zurückgezahlt werden?
Leider liegen uns hierzu keine Zahlen vor.
6. Eine Größenordnung, die vor allem die vielen kleinen Raiffeisenbanken in Not bringen könnte?
Als eine der kapitalstärksten Organisationen in der Bankenbranche sehe ich uns da sehr gut aufgestellt. Aufgrund unserer hohen Wirtschaftskraft konnte in den letzten Jahren die Eigenkapitalausstattung verbessert werden um so pauschal für Risiken vorzusorgen, unabhängig von der individuellen Betroffenheit. Das gilt für Genossenschaftsbanken aller Größen, davon profitieren wir jetzt.
7. Wann kommt die Pleitewelle, wann die nächste Wirtschaftskrise?
Bestimmte Branchen sind ohne Zweifel sehr stark von der Pandemie betroffen. Hier wird es zum einen darauf ankommen, wie schnell die zugesagten Corona-Hilfen des Staates auf dem Konto der Unternehmer landen und zum anderen, wie die politischen Entscheidungen der kommenden Monate aussehen. Für mich ist momentan nicht absehbar, ob, wann und wie stark eine Pleitewelle kommen wird. Manches wird sich vermutlich erst zeitversetzt im Jahr 2021 zeigen. Trotz alledem steckt in unserer mittelständischen Wirtschaft viel Kraft und Stabilität, das stimmt mich zuversichtlich.
8. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem neuen Jahr?
Dass die aktuelle Situation für unsere Gesellschaft außergewöhnlich ist, steht außer Frage. Ich hoffe deshalb, dass die Wirtschaft möglichst bald und in allen Bereichen wieder volle Fahrt aufnehmen kann. Gerne würde ich auch mal wieder mit Freunden einen Abend in der Stadt in geselliger Runde verbringen.